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Reiseberichte unterwegs in der Welt unterwegs in der Zeit

Tschüss Rotterdam - nie mehr unterm Flachdach wach

12.04.2007

Wo Holland historisch ist, sind Grachten. Wo Holland modern ist, sind Flachdächer. Flachdächer sind allgegenwärtig in Niederlande. Dadurch wirkt alles kubisch, gerade, rechtwinklig. Selbst der Horizont fügt sich diesem Pauschalurteil. Genauso wie der kindliche Wille die Richtung der Wolken bestimmt.

Flachdächer sind preisgünstiger in der Herstellung, weniger tragfähig als Sattel- und sonstige unflachigen Dächer und machen gerne Probleme mit der Wasserdichtigkeit.

"Den Schutz vor eindringendem Wasser übernimmt beim geneigten Dach die Dachdeckung, beim Flachdach die Dachabdichtung." (Wikipedia)

 

Rotterdam Golden Tulip Hotel. Musterflachdach.

Hotel Golden Tulip in Rotterdam

Rotterdam Golden Tulip Hotel. Musterflachdach.

Musterflachdach

 

Wikipedia verschweigt aber taktvoll, dass der in Deutschland aktuelle Trend, Nichtflachdächer bzw. Steildächer zu "Dächerlandschaften" oder auch "komplexen Dächern" zu kombinieren, den stilbewussten Einfamilienhausvillabauherren über kurz oder lang mit Dachabdichtungsherausforderungen und letztendlich Dachundichtigkeitsproblemen konfrontieren wird.

Wiederum aufmerksam beobachtet hat Wikipedia unter den Vorteilen von Flachdächern die "Belichtungsmöglichkeit für innenliegende Räume". Die Bedeutung dieses Vorteils bleibt dem Leser zur Beurteilung überlassen. Im gardinenlosen Holland, genauer in den gardinenlosen Niederlanden, welche die Holland-Regionen umschließen, kann man diesen Vorteil erleben. Keine kunstvoll angebrachten winkeligen Gauben müssen Licht in das Steildach einführen. Keine überhängende Dachtraufe überschattet die Fenster im unterhalb liegenden Geschoss. Bis unter das Dach sind die Fenster groß und meist unverhüllt. In einem der dichtbesiedeltsten Länder der Welt schafft diese Transparenz eine Freiheit, deren Fehlen uns hierzulande in so manchem Zwanzigtausendseelendorf in die Flucht schlägt.

Als Ausländer bilde ich es mir vielleicht nur ein, aber so unobserviert wie hier habe ich mich selten gefühlt. Das liegt sicherlich nicht an den Dächern. Aber ein wenig an den Fenstern.

Der Nachteil wiederum ist ganz offensichtlich. Für den leidenschaftlichen Anhänger der Landschafts- und Lautmalerei macht die flachdachverursachte Unterrepräsentanz von Begriffen wie Dachtraufe, Dachstuhl, Dachreiter, Dachfirst, Dachneigung, Dachziegel, Dachrinne, Dachlatte, Steildach, Kniestock, Krüppelwalmdach, Konterlattung oder Verfallung die Niederlande zur Wüstenei. Den Drempel hat dieses lichte Land gar gänzlich aufgegeben. Wie jeder weiß, ist der Drempel beim Steildach der Kniestock. In den Niederlanden war das Wort Drempel scheinbar irgendwann übrig und bezeichnet heute eine Bremsschwelle.

Aber dies alles ist natürlich eine sehr subjektive und überhaupt nicht konsensfähige Meinung zum Flachdach. Wer einmal einen Sommer lang im obersten Stockwerk direkt unter dem Flachdach ohne Klimaanlage arbeiten durfte, stellt die ästhetischen Ansprüche schnell zurück. Aber stimmt das wirklich? Niederlandes Architektur nimmt angeblich seit den 90er Jahren einen erheblichen Einfluss auf die weltweite Architekurentwicklung.

Für mich jedenfalls hat es erst einmal ein Ende mit Niederlandes Licht, Windmühlen, Apfelkuchen, Grachten und dem Flachdach. Nie wieder unterm Flachdach wach? Sicher nicht, gerne wieder!

 

Am letzten Tag im Büro gibt es leckeren Café und dazu den besten Apfelkuchen Rotterdams.

Den Apfelkuchen und alles andere werde ich vermissen. Vor allen Dingen aber die Menschen und die Kultur. Es war faszinierend zu erleben, wie zwei Vorstandsmitglieder des weltumspannenden Unternehmens im Rotterdamer Haupthaus mit der Belegschaft Interna diskutierten. In der Kantine wurden an diesem Mittag belegte Brötchen ausgegeben. Ohne Bühne, Tisch oder Pult standen beide im Raum und stellten sich vor. Außen herum standen und saßen interessierte Mitarbeiter. Ohne Eile und unverkrampft wurde gefragt und geantwortet. Keine Spur von Selbstdarstellung. In Deutschland wäre das nicht möglich. Entweder hält der Manager mit subtiler Autorität Distanz oder betreibt Marketing oder die Fragesteller blasen sich unter ihren verschiedenen Führungsrollenanspruch-, Betriebsrat- oder Gewerkschaftshüten unterschiedlich bunt auf. Eine neue Entgeltstruktur im großen Kreis zu besprechen wäre bei uns unmöglich. In diesem Land ist vieles möglich. Und dazu gibt es superleckeren Apfelkuchen.

 

Kaffeetassen Ernst & Young

Kaffee

Dudoc Apfelkuchen - der beste Rotterdams

Dudok. Erzeuger des besten Apfelkuchens

in Rotterdam

 

 

Links:

Europäische Vereinigung dauerhaft dichtes Dach e.V. http://www.dddach.org/knowhow/knowhow.htm

 

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