Fr 11.07.2008

Der Wille zur Leistungsverweigerung

Ein Termin in München. Hin und zurück am selben Tag, keine Weiterreise. Warum nicht die Bahn nehmen?

Die superschnelle Anbindung Nürnberg - München erlaubt eine Stunde und zwei Minuten Arbeit am Notebook, Vorbereitung des Termins und stressfreie Anreise. Sitzplatz ist reserviert, ich bin 10 min. vor Abfahrt am Hauptbahnhof.

Ich komme in die Bahnhofshalle, studiere die Anzeige und wie so oft bei Bahnreisen lähmen mich Gefühle der Nichtigkeit und Versagensangst. Mein Zug wird nicht angezeigt.

Das hatte ich hier schonmal. Damals war ich sehr knapp am Bahnhof angekommen,  fand den Zug nicht auf der Anzeige, eilte zum auf dem Ticket angegebenen Gleis, fand dort einen ICE, der in eine andere Richtung gehen sollte, eilte zurück, fragte mich durch und verpasste den Zug. Ich lernte, dass es sich um einen geteilten Zug handelte und die Anzeige eben wechselt. Seither verharre ich oft längere Zeit vor den Abfahrtsanzeigetafeln. Nur so. Welche Geheimnisse mögen sie bergen?

 

 

"Ja, ich bin von den heutigen Bahnverspätungen betroffen. Laut Fahrplan bin ich kurz nach 13 Uhr in München. Dort habe ich um 14 Uhr einen für mich wichtigen Termin. Ich habe eine Sitzplatzreservierung und wollte mich noch gut vorbereiten. Jetzt muss ich auf den nächsten Zug warten, der eine halbe Stunde später geht, 10 Minuten länger benötigt und jetzt schon 20 Minuten Verspätung hat. Meinen Termin werde ich nicht schaffen."

"Die Qualität der Bahn halte ich für einen Skandal. Von meinen letzten 10 Inlandsflügen war einer um 45 Minuten verspätet. Meine drei letzten Bahnreisen waren im Vergleich eine Katastrophe. Ich zahle dank Bahncard 75 Euro für diese Reise. Wenn ich nicht extra zum Bahnhof gefahren wäre, wäre ich mit dem Auto inzwischen fast am Ziel. Die Zuverlässigkeit der Bahn halte ich für beschämend. Bei Meetings kommen meist die Teilnehmer zu spät, die mit der Bahn anreisen. Meine auslaufende Bahncard werde ich wegwerfen. Und für die kommende Bahnaktie können andere Opfer gesucht werden. Ich werde ich mich nicht zusätzlich reinlegen lassen."

Der Mann mit dem Mikrofon vom Bayerischen Rundfunk hat leuchtende Augen. Mehrfach bittet er um Wiederholung, weil Durchsagen gestört haben. "Formulieren Sie gerne auch etwas drastischer" meint er dabei. Er wirkt gut gelaunt.

 

Der reguläre ICE ist ausgefallen. Der nächste hat 20 Minuten Verspätung.

 

Ärger und Energie suchen ein Ventil. Umtausch ist nicht ausgeschlossen! Umtauschen, das ist die Lösung.  Danach zurück in's Auto und mobil nach München. Ich unterschätze die Bahn erneut. Aneinanderreihen von Entitäten, die sich nicht bewegen, ist Kernkompetenz der Bahn. Schalterhalle und Info-Punkt demonstrieren, dass Bahnkunden nicht erst auf den Bahnsteig gelangen müssen, um ihre Zeit zu verplempern.

 

Gegen viel Zeit und Belege sollen Erstattungen angeblich möglich sein.

 

Zurück auf dem Bahnsteig plempere ich weiter. Wo ist eigentlich der Fehler im System, frage ich mich. Auf dem Flugplatz bedeutet ein wartender Flieger Geldvernichtung. Flughäfen machen den Aufenthalt am Boden teuer. Verspätungen führen mittlerweile zusätzlich zu hohen Erstattungsansprüchen.

Eine verspätete Bahn ist das Problem des Kunden. Ob die Bahn steht oder fährt, die Fahrt ist bereits bezahlt. Eine Rückerstattung von Sitzplatzreservierungen habe ich in den 90ern zuletzt unternommen. Damals konnte man am Schalter einen Gutschein für die nächste Sitzplatzreservierung herausschlagen. Zu der kam es bei mir nie, denn dann hätte ich wieder am Schalter buchen müssen. Heute kann man sich vom Kontrolleur im Alternativzug einen Sitzplatz heraussuchen lassen und falls keiner mehr zu finden ist, eine Bestätigung ausstellen lassen. Diese ist dann am Schalter ...

 

Die abendliche Rückreise nach Nürnberg verzögert sich nur um eine dreiviertel Stunde. Originalzug ausgefallen, der nächste langsamer. In Nürnberg ist mein Bahnerlebnis vorbei. Endlich stressfrei.

 

Wegen des ICE 3 Unfalls in Köln gibt es heute mal einen Grund für den Willen zur Leistungsverweigerung der Bahn.

 

 

Strecke: Nürnberg - München

Fahrplan

Nürnberg Hbf 11.07. ab 12:02 8

München Hbf 11.07. an 13:04 22

ICE 529 1 Sitzplatz, Wg. 28, Pl. 26, 1 Fenster, Grossraumwagen,

Nichtraucher

Verspätung: 1 Std. da Zug ausgefallen, nächster Zug 30 min. später und 20 min Verspätung und 15 min langsamer.

Reservierung ade!

 

Strecke: München - Nürnberg

München Hbf 11.07. ab 18:20 19

Nürnberg Hbf 11.07. an 19:30 7

ICE 732 1 Sitzplatz, Wg. 37, Pl. 81, 1 Fenster, Grossraumwagen,

Nichtraucher

Verspätung: 40 min, da Zug ausgefallen, nächster Zug 30 min. später und 15 min langsamer.

Reservierung ade!