Chinesische Drachen
 
Reiseberichte unterwegs in der Welt unterwegs in der Zeit

Woche 2 - 8. April 2004 (Bilder!)

Nach der 2. Arbeitswoche: Donnerstag 8. April 2004

Kulturabenteuer Peking

 

Zunächst einmal ein herzliches Danke-Schön an alle unter Euch, die mir so nett auf meinen ersten Reisebericht geantwortet haben. Das tut schon gut, wenn man fern von zu Hause merkt, dass man nicht vergessen wird...

Nachdem für Euch morgen schon Ostern ist (wir haben leider nur ein "normales" 2 Tage Wochenende), gibt es den Wochenbericht (mit Rücksicht auf alle, die ihre Mails nur im Büro lesen) schon am Donnerstag.

 

Letzten Samstag stürzten wir uns also voll ins Kulturabenteuer Peking: Zunächst ging’s per Taxi zum Himmelstempel und von dort zu Fuß zum Platz des Himmlischen Friedens (der größte Platz der Welt mit penetranter Mao-Verehrung) und dann in die Verbotene Stadt der Kaiser. Die Audio-Tour dort wurde übrigens von James Bond - Roger Moore gesprochen. Aber wir Kulturbanausen wollten einfach nur so durchlaufen und nicht jedes Detail erklärt bekommen. Am 8. März zum Tag der Frau müssen Frauen übrigens nur den halben Eintritt zahlen. Die verbotene Stadt war übrigens der einzige Ort, wo wir wirklich mal ein paar Touristen getroffen haben, ansonsten sieht man fast ausnahmslos Asiaten.

 

Drachen

Das größte Wochenendhobby der Chinesen ist Drachen-Steigen-Lassen. Dazu finden sie sich alle an den öffentlichen Plätzen oder den Parks ein und bringen ihre Drachen mit. Ansonsten sieht man vor allem in den Tempelgängen häufig chinesische Paare, wo er ein exotisches Instrument spielt und sie sich in Arien der Pekingoper versucht.

Danach haben wir noch einen Abstecher ins moderne Zentrum Pekings gemacht. Hier gibt es wirklich alles: Egal ob es Mc Donalds Hamburger, Starbucks Cafe, Esprit Pullis oder Max Mara Anzüge seien sollen, für wirklich viel Geld findet man all das. Die Haupteinkaufsstrassen im Zentrum sind nobel und werden von den Chinesen gut besucht. Hier kann man problemlos ganz viel Geld ausgeben. „Geschäft“ gehört eben mittlerweile zur Ideologie. Man muss schon längst nicht mehr Proletarier sein, um Kommunist zu sein und bleiben zu können.

Wenig Geld muss man dagegen beim Kauf von CDs oder DVDs investieren (1-2 Euro für eine CD) und die klingen sogar so als seien sie „original“.

 

Kino & Musik

Ich hab auch schon den Versuch unternommen, ein englischsprachiges Kino ausfindig zu machen. Dabei stellte sich heraus, dass es in dieser Stadt so gut wie keine Kinos gibt! Das liegt einerseits daran, dass Chinesen sich nur noch DVDs anschauen (kein Wunder bei dem Angebot und Preisen von 1 Euro pro DVD) und andererseits der Staat noch immer nur wenige ausgewählte Filme (zuletzt waren das „Lord of the Rings“ und „Mona Lisa’s Smile“) zulässt.

 

Musikalisch ist es auch nicht so toll. Es gibt zwar viel Life-Musik in den Bars, aber in der Regel handelt es sich um chinesische Karaoke, sehr schön gesungen, aber eben etwas sehr romantisch gehaucht für unseren Geschmack. Also bleibt die Freizeitbeschäftigung bei Peking-Oper (Katzenjammer, nicht zum Aushalten), Akrobatik-Show (wie kann sich eine 1,55 m große Frau vollständig verknoten) und Shopping (Öffnungszeiten täglich von 9.00 bis 22.30 Uhr).

 

Sommerpalast

Sonntag stand dann die Besichtigung des Sommerpalastes des Kaisers auf dem Programm. Das war mal richtig schön: Eine weitläufige, wunderschöne Anlage aus verschiedenen Tempeln, Pavillons, Türmen, Palastbauten und religiösen Bauten zerstreuten sich entlang des Ufers eines riesigen Sees und über verschiedene Hügel. Überall beginnen die Bäume zu blühen, die Temperaturen waren frühlingshaft und der Dunst in der Luft legte allem einen geheimnisvollen Schleier über. Vom Gipfel der Hügel hatte man einen interessanten Ausblick auf die gesamte Anlage und am Horizont waren überall die Hochhäuser Pekings zu sehen.

 

Stadt

Außer Hochhäusern sieht man in der Stadt Peking wirklich nichts mehr. Es scheint fast, mal abgesehen von den historischen Sehenswürdigkeiten, als ob es kein Peking vor 1970 gegeben hätte. Zum Glück ist die Bauweise aber extrem großzügig und es fällt sehr viel Licht durch die breiten Boulevards und zwischen den Häusern hindurch.

 

Die Reiseführer haben definitiv in einem Punkt nicht mehr recht: Alle sind sehr freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend. Bislang hat uns niemand reinlegen wollen und auch niemand ignoriert.

Außerdem stürzen wir uns mittlerweile auch ohne chinesische Verstärkung in die nächsten Restaurantabenteuer: Die einfachen Restaurants haben keine englische Speisekarte, aber die Kellnerinnen sind wirklich süß und zeigen immer im Reiseführer auf die chinesischen Zeichen der Gerichte, die es gibt und dann können wir ja die englische Bezeichnung verstehen.

 

Abenteuer Essen

Gestern wurden wir ganz spontan schon wieder zum Abendessen eingeladen. Eine ganze Gruppe der chinesischen Kollegen ging ins Restaurant. Vor dem Essen wurde der Karaoke-Fernseher in Betrieb genommen. Also vor allem die Frauen konnten echt gut singen. Wir waren sehr erleichtert, dass die Liedtexte nur auf Chinesisch angezeigt wurden, so dass niemand auf die Idee kam, dass wir auch ein Liedchen vortragen könnten. Das Essen war dann wieder äußerst vielfältig: gegrillte Blindschleichen, gegarte Frösche (beides haben wir ignoriert), karamellisierte Kartoffeln (kleben super in den Zähnen), Schweinefleisch süß-sauer (das war der Touristen-Kompromiss und hat uns wirklich geschmeckt), hyper-scharfe Nudeln (mit viel Chrysanthemen-Tee immerhin genießbar), Maisgemüse (beinahe unmöglich mit Stäbchen zu essen) und eine ganz leckere Algen-Kohlmischung. Zum Schluss gab es dann noch eine undefinierbare Schleimsuppe (Suppe gibt es ja immer erst am Ende), dafür kennen die Chinesen aber leider kein Dessert...

Es werden immer ganz viele verschiedene Gerichte bestellt und man dreht dann den Tisch in der Mitte bis das gewünschte Gerichte vor einem ankommt und man mit seinen Stäbchen etwas aufladen kann. Schnelligkeit und Geschicklichkeit im Umgang mit den Stäbchen sind also von Vorteil.

Und nun der nahtlose Übergang zur heutigen Landeskunde-Lerneinheit:

 

1-Kind-Politik in der Praxis - Zahlenspiel

Wird die 1-Kind-Politik hier wirklich verfolgt? Die Chinesen halten tatsächlich ganz strickt daran fest. Sobald bei einer Frau, die schon ein Kind hat, eine Schwangerschaft festgestellt wird, nimmt man massiv Einfluss darauf, dass diese abgebrochen wird. Sollte sich eine Familie dieser Regel widersetzen, ist sie massiven Repressalien ausgesetzt (Kündigung, hohe Geldstrafen, soziale Ächtung). In der Firma gibt es nur einen Fall, wo jemand zwei Kinder hat: Dieser Kollege heiratete eine Frau, die bereits ein Kind in die Ehe mitbrachte und das Paar erhielt dann die Erlaubnis, noch ein gemeinsames Kind zu bekommen. Offensichtlich ist das Bevölkerungswachstum hier aber anders wirklich nicht in den Griff zu bekommen.

Man liest immer wieder über die unausgewogene Geburtenrate zwischen Mädchen und Jungen in China, die Folge der Ein-Kind-Politik ist. Dies wurde in der letzten Volkszählung wieder bestätigt: Pro 100 Mädchen kommen 117 Jungen zur Welt (normal wäre ein Verhältnis 100:104). In den ärmeren, ländlich geprägten Regionen im Westen und Süden Chinas ist die Situation mit bis zu 130 Jungen noch drastischer. Jungen stellen eben eine bessere Arbeitskraft dar und scheinen die Familie im Alter besser unterstützen zu können. Da das Sozialversicherungssystem hier noch sehr rudimentär ausgebaut ist, und das Jahreseinkommen in diesen Regionen pro Kopf gerade mal bei 50 Euro (!!!) liegt, sind männliche Nachfolger bevorzugt. Und obwohl die Geschlechtserkennung vor der Geburt gesetzlich verboten ist, wird sie doch immer wieder genutzt, um sicherzustellen, dass man einen Sohn zur Welt bringt.

Die Regierung steuert jetzt mit Prämien gegen: Bauernfamilien, die sich an die Ein-Kind-Politik halten, bekommen einmalig 300-500 Euro. Man hofft, dass diese Maßnahmen bald Erfolg zeigen, denn ansonsten erwartet man in den nächsten 10 Jahren einen Frauenmangel von etwa 60 Millionen. Na dann, nichts wie auf nach China: Auswahl, Auswahl, Auswahl (aber eben nur an kleinen, rotzenden, spuckenden, eher unattraktiven Chinesen).

 

Arbeit & Einkommen: Schneller, billiger, kompetenter

Außerdem haben wir beim gestrigen Mittagessen noch etwas interessantes erzählt bekommen: Die „Arbeitsmoral“ der Chinesen lässt es wohl nicht zu, dass man im Krankheitsfall ein paar Tage zu Hause bleibt. Das war leider auch der Grund, warum sich SARS hier so extrem schnell ausbreitete. Da wurde das Büro zum perfekten Übertragungsplatz. Viele Firmen haben ihre Büros dann tatsächlich für einige Zeit geschlossen.

 

Hab noch ein paar interessante Informationen zum Thema, was verdient man hier eigentlich: Ein MBA Abgänger, der davor schon 5 Jahre Berufserfahrung gesammelt hat, verdient nach dem Abschluss der Business School ca. 12 T€ im Jahr. Im Gegensatz dazu muss ein „normaler Arbeiter“ in Peking, der zum Beispiel als Taxifahrer oder Kellner beschäftigt ist,  gerade mal mit 1 T€ im Jahr auskommen. Und das Pro-Kopf-Einkommen in der Provinz ist natürlich noch einmal deutlich tiefer.

Bei diesem geringen Einkommensniveau kann man als Unternehmen natürlich keine hohen Preise durchsetzen. Unsere lokalen Wettbewerber verfolgen deshalb die Strategie „Market share first, profit second“. Statt über den Preis wird hier über das Volumen die Marktmacht etabliert und man hofft, dass man später, wenn die Kaufkraft steigt, von seinem hohen Marktanteil profitieren wird. Das ist natürlich keine sehr „Siemens-konforme“ Strategie. Und damit hätten wir auch knapp erklärt, was wir hier tun: Wie können wir in China schneller, billiger und kompetenter werden...

 

Freu mich schon ziemlich auf Deutschland. So spannend und interessant, wie es hier auch ist, ich hab ganz schön Heimweh nach Euch, dem Gautinger Wald, Bergen, Seen und meinen Fahrrädern. Das ist mir am Wochenende klar geworden. Hier gibt es so wenig Möglichkeiten, sich im Grünen zu bewegen. Hochhäuser und Großstadtarchitektur allein sind eben einfach nicht genug für mich. 

 

Viele Grüße aus Peking und schöne Ostern

Birgit  

 

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(c) www.schnupsi.de Donnerstag 23 Juli 2009